Bücher, die ich gerne gelesen habe
Unmögliche Liebesgeschichten
Das Märchen von der Undine endet bei Friedrich de la Motte Fouqué für die Fischfrau tragisch, anders als die Undinen-Erzählungen von Reinhard Knodt, wo es meistens für den Mann, wenn schon nicht tragisch, so doch oft tragigkomisch ausgeht. Der männliche Held der Erzählungen ist eher ein melancholisch gewordener Don Juan, dessen Eroberungsstatistik, wenn auch mit vergleichsweise schmaler Erfahrungsgrundlage, allen Grund dazu gäbe, das Spiel mit dem Feuer lieber zu lassen. Doch die Hoffnung der Liebe stirbt nie und Reinhard Knodt gelingt es mit jeder Geschichte aufs Neue, das Sehnsuchtsspiel zu entfalten, sei es beim Angeln, beim Klavierkonzert, auf dem Selbsterfahrungsseminar einer Unternehmerakademie oder an der Supermarktkasse.
Für die zahlreichen gescheiterten Erwartungen bietet Knodt als Entschädigung philosophische Reflexionen über das Unmögliche als Voraussetzung und Resultat einer Liebesbeziehung. So entsteht eine ganz neue Sichtweise, eine Art Philosophie der Liebe als ewigem Spiel. Durch die Nähe des Autors zum Erzähler-Ich und die Genauigkeit der Beobachtungen wirken die Geschichten niemals gekünstelt, oft authentisch, und zeigen jedenfalls, dass gute Literatur auch in kleinen Verlagen gedeiht. Die PalmArtPress in Berlin hat schon manchen ähnlichen Schatz gehoben. Auch dieses Buch verdient noch mehr Beachtung durch den großen Literaturbbetrieb.
Reinhard Knodt: Undinen - Unmögliche Liebesgeschichten. 2015. ISBN-10 3941524631
Die heiteren Geschichten eines Melancholikers.
Herr Hansen, die Hauptfigur des Erzählwerks von Dirk Schmoll, ist in den ersten Geschichten schon mittleren Alters, hat seine Lehrjahre aber noch vor sich. Er lässt sich auf neue Situationen ein, und da er sensibel ist, wird er vom Leben ordentlich durchgerüttelt. Er heiratet eine Frau, die vorzeitig an einer unheilbaren Krankheit stirbt, und verzichtet nach einer eigenartigen Selbstprüfung auf einen beruflichen Aufstieg. Man hat den Eindruck, dass er nicht dazulernt, sondern sich weiter verrennt. So hält er sich für einen begabten Schriftsteller und den Enkel von Franz Kafka. Bei einem Fernsehauftritt wird er zum Gespött der Leute. Herr Hansen hat einfach kein Glück. Zwar überwindet er eine Krebserkrankung, aber danach fällt er in eine tiefe Depression und bringt sich beinahe um. Doch ein Freund und die Behandlung eines Psychiaters retten ihn. Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Herr Hansen wird schließlich zum „Hans im Glück“. Es ist ausgerechnet die Migrationskrise, die aus ihm einen glücklichen Menschen macht. Er tauscht mit einem Flüchtling, dem er seine Wohnung übereignet, und zieht in dessen Heimat, um dort in Armut mit einer Frau und vielen Kindern einen glücklichen Lebensabend zu verbringen.
Was diese aneinandergereihten Erzählungen auszeichnet, ist die genaue Analyse der auftretenden Persönlichkeiten, insbesondere die der Hauptfigur, und zwar in einer Weise, die dem scharfen Blick eines Psychiaters vorbehalten ist. Erzählt wird von religiösen oder Größenwahnideen, die zunächst noch zum Normalen zu gehören scheinen, dann diese Grenze aber doch überschreiten. Dass Herr Hansen gerettet wird, verdankt er vielleicht dem Beruf seines Autors, der ihn wieder auf die Spur des Lebens zurückbringt und ihm eine, wenn auch grotesk anmutende Lebensperspektive eröffnet.
Dirk Schmoll, Die Hansen-Melancholie: Ein Erzählzyklus, 2019, ISBN-10: 3958941303
Schicksalhafte Verkettungen im Großstadtleben
Thomas Isermanns Werk hat den Untertitel „Romanfragment.“ Das soll nicht besagen, dass es sich um einen unfertigen Roman handelt. Fragment ist der Roman, weil er nur Ausschnitte aus Lebensphasen sehr vieler Personen zeigt, man könnte auch sagen individuelle Momentaufnahmen. Diese miteinander verketteten short stories hängen eher zufällig miteinander zusammen. Bindeglieder sind die Orte des jeweiligen Geschehens, welches überwiegend in verschiedenen Stadtteilen Berlin stattfindet. Diese sogenannten „Wimmelbilder“ setzen sich aus den verschiedenen Perspektiven der Protagonisten zusammen, ob diese nun in einem Museum eine Marienstatue betrachten oder eine U-Bahn steuern. So wird die Stadt gleich auf mehreren Ebenen erschlossen.
Der Kontrapunkt wird am Anfang und Ende des Romans durch einen Ortswechsel gesetzt. Der Roman beginnt mit dem inneren Monolog eines Leuchturmwärters und seinen Beobachtungen, und er endet damit. Das Flugzeug, dass der Leuchtturmwärter am Anfang beobachtet, verschwindet am Ende im Meer. Hier schließt sich also der Kreis.
In dieser und in manch anderer Hinsicht hat der Roman Ähnlichkeiten mit Joyces' „Ulysses“, der ja auch da endet, wo er angefangen hat. Und auch die Mythologisierung einiger Personen erinnert an dieses literarische Vorbild. Döblins „Berlin Alexanderplatz“ hat hier gleichfalls Pate gestanden, wird auch erwähnt. Stilistisch beschränkt sich Isermann aber nicht nur auf Tatsachenphantasie und Berliner Schnoddrigkeit, sondern probiert hier fast alle literarischen Stilmittel durch, und so finden sich auch zahlreiche lyrische Passagen.
Ideengeschichtlich knüpft Isermann an die Ästhetisierung von Melancholie an. Schon der Titel „Scheiternde Schutzengel“ deutet darauf hin. Man mag hier an Dürers „Melencolia“ denken, die ja auch als Engel dargestellt wird. Diese Melancholie ist ein produktive künstlerische doch zugleich auch lähmende, wenn dem Schreiber wie auf dem Titelbild die Feder aus der Hand zu gleiten droht. So gibt es sehr kunstvoll gestaltete Passagen, die sogar erheitern können, wie der Fisch im Landwehrkanal, der Probleme mit dem Angler hat und sich mit einem Regenwurm austauscht. Dennoch kommt die Sinnlosigkeit allen Geschehens immer wieder zum Ausdruck und wird selbst von einigen Figuren formuliert, wie von der literarisch ambitionierten Postbotin, die meint, das Leben taumele sinnlos hin und her, weil es nicht richtig balanciert werden könne, es drehe sich im, Kreis und verlaufe nicht logisch. Dies erfahren letztlich alle Figuren. Selbst die Schutzengel, die der Autor in seinem Roman auftreten lässt, müssen da scheitern. Und so erscheint es konsequent, dass der Leuchtturmwärter am Ende des Romans die Selbstmordaktion des Fliegers wahrnimmt, welchen er schon am Beginn des Romans am Himmel beobachtet hat. Der Kreis schließt sich wie in Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“, wo die Wiederkehr des ewig Gleichen den Kreis darstellt, den Isermann als Teufelskreis bezeichnet. Und selbst die Tangenten des versuchten Ausbruchs, die an dem Kreis anliegen, werden durch das Leben in den Kreis zurückgeschleudert. In dieser nihilistischen Grundkonzeption scheitern nicht nur die Engel sondern auch jede metaphysischer Erlösungshoffnung. Die historischen Katastrophen, auf die im Roman angespielt wird, scheinen ja schließlich zu beweisen, dass es Gott nicht gibt. Selbst der Priester, der vor der Marienstatue sinniert, glaubt nicht mehr an Gott. Isermann gib im Roman selbst Deutungshinweise, indem er seine „Wimmelbilder“ als Labyrinthe ohne Ausweg bezeichnet. Das schlimmste, was da passieren kann ist die Wiedergeburt des Selbstmörders.
Bei diesem nihilistischen Ansatz werden die Protagonisten durchaus mit großer Sympathie gezeichnet, die Postbotin, die fremde Briefe liest, der Obdachlose, der sein Schicksal in einem Gedicht zusammenfasst und der Multimillionär, der sich für den Tierschutz einsetzt. Sprachspiele des Autors lassen den Ernst der Lage und die Sinnlosigkeit des Geschehens oft vergessen und haben teilweise sogar eine erheiternde Wirkung. Man möchte meinen, dass der Autor mithilfe eben dieser sprachlichen Spielereien sowie seinem ironisch gebrochenen Milieu- und Persönlichkeitsstudien den fehlenden Sinn konstruieren will.
Thomas Isermann, Scheiternde Schutzengel: Romanfragment, 2018, ISBN-10: 3944560523
http://www.thomasisermann.de/index.php